22.08.2024 00:00
Dringend gesucht: Trainerinnen und Trainer!
Fussball ist die beliebteste Sportart in der Schweiz. Der Schweizerische Fussballverband verzeichnet jährlich rund 62‘000 Neuzugänge, allein im Junioren- und Kinderfussball sind es deren 50‘000. Damit wird die Suche nach geeigneten Trainer/innen für viele Vereinsverantwortliche zur grossen Aufgabe.
Mittwochabend, 18 Uhr, Kunstrasenplatz des FC Muri-Gümligen: Die E-Junioren sind voller Leidenschaft bei ihrem Training, hochmotiviert und konzentriert folgen sie den Anweisungen von Coach Holger Litzenburger. Der 47-Jährige ist in erster Linie Familienvater, seit zwei Jahren aber auch Junioren-Trainer beim FC Muri-Gümligen, das D-Trainerdiplom hat er bereits in der Tasche. Ursprünglich war es nicht sein Plan, an der Seitenlinie zu stehen, als er seinen Sohn Nils beim Verein zum Training anmelden wollte. "Aber es stand kein Coach zur Verfügung, so dass der Ball plötzlich bei mir lag. Man offerierte mir das Traineramt“, erzählt Litzenburger lachend. "Ich habe nicht lange gezögert. Schliesslich ist ein solches Engagement eine Herzensangelegenheit und die Arbeit mit den Junioren macht mir grossen Spass.“ Zwei Trainings in der Woche, Turniere an fast jedem Wochenende. "Klar steckt viel Aufwand dahinter. Aber von den Kindern, deren Eltern und vom Klub kommt grosse Wertschätzung zurück.“
Wertschätzung. "Genau das braucht es, damit das freiwillige Engagement zur Herzensangelegenheit wird“, sagt Raphael Kern, Leiter des Ressorts Breitenfussball beim SFV. "Die Trainerinnen und Trainer müssen sich vom Klub gestützt und getragen fühlen, damit sie ihr Engagement fortsetzen – auch dann, wenn beispielsweise der eigene Nachwuchs nicht mehr im Klub spielt." Kern ist sich bewusst, dass die Trainer/innensuche für viele Klubs herausfordernd ist. "Mit jährlich 50‘000 Neuzugängen im Juniorenbereich wird der Schweizer Fussball gewissermassen Opfer seines eigenen Erfolgs“, erklärt der Experte.
Deswegen den Teufel an die Wand zu malen oder den Kopf in den Sand zu stecken, sei aber keine Lösung. In der heutigen Leistungsgesellschaft würden viele den Sinn wieder in der Freiwilligenarbeit suchen. Andersrum gebe es viele junge Erwachsene, die dem Verein, in dem sie gross geworden sind, gerne wieder etwas zurückgeben möchten. "Und genau diese Leute müssen wir abholen und unterstützen.“ Das setze sowohl ein gesundes Vereinsleben wie eine gute Infrastruktur voraus. "Ist der Klub gut organisiert und finanziell gesund, kann professionelles Personal - etwa in Teilzeitarbeit - eingestellt werden, um den Trainerinnen und Trainern aufwändige administrative Arbeiten abzunehmen. Weiter brauche es viel Begleitung und Unterstützung. „Man muss mit den Leuten reden, fragen, wo sie Hilfe benötigen. Ein Coach, der zum ersten Mal ein Turnier austragen muss, darf nicht alleine gelassen werden.“
Das sieht auch Nicolas Kehrli so, ehemaliger Profifussballer und heutiger Trainer des Selection-Team Bern. Vor vier Jahren hat der 41-Jährige die Leitung der Juniorenabteilung des FC Breitenrain neu ausgerichtet. "Die Trainer/innen in ihrer Arbeit zu begleiten, sie administrativ und sportlich zu unterstützen, sie wertzuschätzen und ihnen vor allem auch das Entdecken von Stärken und Ressourcen zu ermöglichen, ist von grosser Bedeutung. Schliesslich sollen auch sie sich weiterentwickeln können, nicht nur die Spielerinnen und Spieler."
Wie aber kommt man überhaupt zu gutem Trainer/innenpersonal? "Das Herz eines Vereins muss pochen, damit der soziale Austausch und neue Kontakte stattfinden können. Dazu braucht es nicht viel", erläutert Kern seitens SFV. "Ein einfaches Plauschturnier an einem Freitagabend mit anschliessender Grillade ist Beziehungsarbeit mit grosser Wirkung. Hier finden Gespräche statt, hier können Menschen, die gerne ehrenamtlich wirken möchten, abgeholt werden." Dem pflichtet Kehrli bei. "Ein vielfältiges Engagement ist gesellschaftsrelevant. Wenn Menschen am Verein aktiv partizipieren und ihn mitgestalten können, schafft dies neue Zugänge."
Dem Berner Stadtklub FC Länggasse gelingt die Trainer/innensuche trotz grosser Nachfrage bisweilen sehr gut. Der Verein engagiert sich in diesem Bereich sehr vorbildlich. "Wir wollen, dass die Trainer/innen gut zu unseren Kindern schauen, also müssen wir das Gleiche mit ihnen machen“, so Junioren-Obmann Thomas D’Ascoli. Der Berner Traditionsklub hat auf die grosse Nachfrage nach Coaches mit verschiedenen Massnahmen reagiert. In Gesprächen und viel Beziehungsarbeit versucht man die Eltern in die Trainerarbeit im Klub einzubinden, zudem macht der Verein via Social Media oder mit Flyern auf die Trainer/innensuche aufmerksam. "Man muss vielseitig agieren“, so D’Ascoli. "Wir setzen zudem auf Coach Developer, die unsere neuen Trainerinnen und Trainer beim Einstieg unterstützen und begleiten. Im Rahmen unserer Trainingswochen in den Schulferien bieten wir Trainer/innen-Schnupperwochen an. Das greift alles sehr gut.“ Trainerinnen und Trainer erhalten beim FC Länggasse eine Entschädigung – was nicht in allen Vereinen der Fall ist. "Für uns ist dies eine Form der Wertschätzung.“
Ebenfalls auf Kurs ist man beim FC Breitenrain. Der Traditionsklub verfügt über eine der grössten Junioren-Abteilungen auf Berner Boden. Jeweils im November treffen sich die Verantwortlichen aus der Kinderfussball (KIFU) - und Juniorenabteilung mit den Trainer/innen. "Wir halten Rückschau auf das erste Quartal, geben uns gegenseitig Feedback, werten aus, weisen auf neue Kurse und Ausbildungsmöglichkeiten hin und planen für das Frühjahr. Damit können wir auch mögliche Engpässe evaluieren und frühzeitig nach weiterem Personal suchen", erklärt Junioren-Obmann Pablo Gattiker. "Der Austausch ist enorm wichtig. Nur so fühlen wir genau den Puls unserer Coaches." Weiter stehen auf den jeweiligen Juniorenstufen Koordinatorinnen und Koordinatoren den Trainer/innen zur Seite. "Die meisten von ihnen waren selber einmal Trainer. Sie begleiten ihre Nachfolger beispielsweise an Turniere, geben ihnen wertvolle Tipps und unterstützen sie vor Ort." Für die Breitsch-Verantwortlichen ist ebenfalls klar: "Mit einer fairen Entschädigung tragen wir Sorge zu unseren Leuten."
"Die beiden Klubs machen das sehr vorbildlich“, sagt Kern. "Wir sind insgesamt auf einem guten Weg. Die Vereine haben den Handlungsbedarf erkannt und gehen das Thema aktiv an. Der SFV unterstützt die Klubs mit all seinen Möglichkeiten. Gegenüber vielen anderen Ländern sind wir in der Schweiz privilegiert, das zeigt sich schon in der J+S-Trainerausbildung. Da werden Beiträge bezahlt, die Teilnehmer werden beim Arbeitgeber freigestellt.“ Für Kehrli ist seitens Vereinsführung auf der Suche nach gutem Trainer/innenpersonal weiterhin innovatives Denken gefragt. "Auch die Abteilungen im Kinderfussball - KIFU - müssen da miteinbezogen und gestärkt werden, schliesslich findet hier der erste Kontakt mit dem Verein statt, was sowohl für die Kinder wie für die Eltern nachhaltig prägend ist. Eltern engagieren sich gerne dort, wo der Nachwuchs positive Erfahrungen sammeln kann."
Zurück zum FC Muri-Gümligen, das Training ist fertig, die Kids sichtlich erschöpft aber zufrieden. Der Coach ist es ebenfalls. Kann er sich denn vorstellen, auch weiter Trainer zu sein? Auch dann, wenn sein Sohn nicht mehr im Verein spielen würde? "Oh ja, sehr gut sogar."